Factcheck Eigenbeitrag

Fragen an Ihre Exzellenz, die britische Innenministerin Sue-Ellen Braverman

An ein und demselben Tag in London:
Chelsea Manning gibt ein Interview, Julian Assange sitzt im Hochsicherheitsgefängnis

Wie kann es sein, dass am 19. November, also vor wenig mehr als einer Woche, die Whistleblowerin Chelsea Manning als freie amerikanische Bürgerin in London ein Interview zu ihrem gerade erschienen Buch readme.txt gab – während der australische Journalist Julian Assange, der die von ihr geleakten Informationen nur veröffentlichte, in derselben Stadt im britschen Guantanamo Belmarsh sitzt?Gefängniszelle

Wir wissen, das ist die Folge der Tatsache, dass Obama 2017 die zu 35 Jahren Haft verurteilte Chelsea Manning nach sieben Jahren begnadigte, aber die Grand Jury, die die Anklagen gegen Wikileaks vorbereitete, nicht auflöste. Und das, obwohl noch nie ein Journalist nach dem 1917 verabschiedeten Espionage Act verurteilt worden war. Es ist aber auch die Folge eines von der britischen Justiz zu verantwortenden gerichtlichen Scheinprozesses gegen Julian Assange, der andernfalls längst mit einem Freispruch hätte beendet werden müssen.

Der engste Verbündete ein Freund?

Wissen Sie, dass Ihr wichtigster Verbündeter und Vormund, die USA, britische Staatsbürger schlechter behandeln als US-amerikanische?

Nach den Prozessen gegen Kriegsgefangene im „War on Terror“ wurde der US-Bürger John Walker Lindh in sein Heimatland USA gebracht, während die zehn Briten und der Australier David Hicks nach Guantanamo deportiert wurden.

Vielleicht sollte auch Großbritannien darüber nachdenken, welche Freunde es sich sucht.

Massenmörder und Journalist vor britischen Gerichten – ein Vergleich

Kennzeichen von Rechtsstaatlichkeit sind Gleichbehandlung und vergleichbare Maßnahmen.

Im Jahr 2000 wurde der chilenische Massenmörder Augusto Pinochet, dessen Mordmethode, Menschen durch Abwerfen über dem Meer verschwinden zu lassen, bis dahin ungekannter Bestandteil der Liste der Verbrechen im Völkerrecht wurde, vom damaligen Innenminister Jack Straw aus gesundheitlichen Gründen begnadigt. Gegen ihn lag ein Auslieferungsersuchen wegen Mordes aus Spanien vor. Die Wartezeit bis zum Urteil verbrachte er im Hausarrest.

Wie kann es sein, dass Julian Assange, der ohne gültiges Urteil seit über drei Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh unter den grausamen Bedingungen weißer Folter und ungeachtet eines Mini-Strokes einsitzt, die Auslieferung wegen angeblicher Spionage in die USA droht? Warum wurde und wird seine Begnadigung oder zumindest Haftverschonung abgelehnt, obwohl australische Ärzte seinen lebensbedrohlichen Gesundheitszustand bezeugen?

Das ist nicht nur kein zweierlei Maß, sondern das ist pure Willkür.

US & GB gegen Julian Assange – ein gewöhnlicher Gerichtsprozess?

Rechtsstaatlichkeit bedeutet außerdem Gewaltenteilung.
Warum wurden, wenn es sich um einen gewöhnlichen Gerichtsfall handelt, von 2012 bis 2019 durch die britische Polizei für die Überwachung der ekuadorianischen Botschaft zur Verhinderung der Flucht eines Journalisten, 16 Mio. Pfund aufgewendet? Das ist nach dem Urteil von Nils Melzer viel zu viel Rauch für ein kleines Feuer und damit klares Indiz für die politische Dimension des Falles.

Die Kosten für einen Police Constable liegen in London pro Jahr bei 60.000 Pfund; umgerechnet wurde also für die Überwachung der Botschaft insgesamt das Jahresäquivalent von 266 Polizisten eingesetzt. Also waren sieben Jahre lang durchgehend 38 Polizisten oder im Dreischicht-System rund um die Uhr mindestens zwölf von ihnen im Einsatz. Und dass, um EINEN Journalisten an der Flucht zu hindern, der zu dieser Zeit in Großbritannien nur der Verletzung von Kautionsauflagen beschuldigt wurde.
[https://www.london.gov.uk/questions/2018/3205]

Edward Snowden hat recht: Julian Assange is a political prisoner.

Fazit

Die regelbasierte Weltordnung der USA – die, Euer Exzellenz Braverman, auch die Ihre ist – bedeutet den Bruch mit Rechtsstaat und Gesetzlichkeit, hin zur Degradierung der dritten Gewalt zur Ausführungsgehilfin der Exekutive.

Und die Ausführungsgehilfin ihrerseits wird als Werkzeug missbraucht, die vierte Gewalt, die Freie Presse und ihren exponiertesten Vertreter – Julian Assange – mundtot zu machen.
Das muss verhindert werden!

Free Press – Free Speech – Free Assange